Dienstag, 8. September 2009

Käsivarsi 2009, Tag 8

3.8.2009 Gipfelsturm

Heute bauen wir unser Lager am Fluss ab und ziehen weiter nach Norden. Bei dem momentanen Wasserstand können wir sogar diesen bisher größten Fluss (vorher schon tagelang als große Wataktion von Harri angepriesen) durchqueren, ohne die Wanderstiefel ausziehen zu müssen. Allerdings fordert das einiges an Zickzack und vor- und zurücklaufen, so dass es vermutlich schneller gewesen wäre, einfach zu waten...

Nordwärts laufen wir bis auf eine Anhöhe. Ein Blick zurück zeigt, wie seltsam die Seiten der Berge hier manchmal "gewellt" sind. Hier lassen wir unsere Rucksäcke liegen um unseren ersten "richtigen" Gipfel zu erklimmen. Der Berg ist sorgfältig ausgesucht, damit sogar wir das schaffen ;-) Und tatsächlich kommen wir diesmal oben an. Der Weg führt zunächst über Geröll, Felsen und Schneefelder. Über weite Strecken sind die Schneefelder die einzige Möglichkeit einfach nach oben zu kommen, aber natürlich sind auch die Schneefelder an diesem Berg voller Rentiere. Nach einer philosophischen und verhaltensbiologischen Diskussion darüber, warum eine Herde Rentiere immer wegläuft und nicht z.B. ein Rudel Wölfe einfach überrennt, ein Gedanke der bei einigen hunderten behörnten Paarhufern schon naheliegt. Andersgesagt, sie sind durchaus in der Masse respekteinflößend.
Dennoch machen wir uns auf den Weg am Rande des Schneefelds. Und natürlich werden wir nicht überrannt, sondern zunächst mal wieder angestarrt. Dann plötzlich entscheidet sich die Herde, die Flucht anzutreten. Sehr eindrucksvoll eine Herde Rentiere auf dem Schnee nach unten galoppieren zu sehen -- allerdings finden sie uns nach ein paar Metern dann doch wieder nicht mehr so gefährlich und kommen hinter und wieder gemütlich nach oben getrabt.

Weiter oben gibt es dann eine kleine Kletterstelle, die wir aber bravourös meistern -- und dann haben wir tatsächlich den Gipfel gestürmt. Oben auf dem Berg gibt es ein Plateau auf dem auch Mal wieder ein Grenzstein steht. Als wir auf die andere Seite des Plateus gehen wollen, bewegt sich plötzlich etwas -- zwei Steinadler, gut getarnt zwischen den grauen Steinen, haben hier anscheinend ihr Nest. Wir haben auch auf dem Weg zum Berg schon Adler gesehen, die durch Tiefflug über den Schneefeldern Rentiere erschreckten. Ein beeindruckendes Bild.

Wir ziehen uns also wieder auf "unsere" Seite des Gipfels zurück und genießen den Ausblick über die Berge. In vielen Tälern gibt es Gletscher, manchmal sind die Täler fast vollständig davon ausgefüllt. Auf dem Bild oben schauen wir zurück auf den Pass zwischen Pältsän und Moskkugaisi wo wir vor ein paar Tagen hergekommen sind.
Hilfreicherweise hat Harri die Koordinaten unserer Wanderstöcke und Rucksäcke, die auf dem Weg zurückgelassen wurden gespeichert, denn in den Steinhaufen sind beide wirklich kaum zu entdecken. Weiter geht es nach Norden, und bald entdecken wir einen perfekten Zeltplatz, so dass wir beschließen, schon etwas eher als geplant das Zelt aufzubauen.
Wir beschließen, das Kochen auf später zu verschieben und einfach ein bischen Essen aus der Ration von Tag 11 zu klauen. Denn der Berg ruft schon wieder -- wir wollen noch wenigstens ein Stück zum Barras und das Meer sehen. Barras ist der Berg, der auf dem nächsten Bild aussieht wie eine Haifischflosse (das Bild ist allerdings zwei Tage später aufgenommen...).

Wie auf der Karte deutlich zu sehen, ist die Tour für einen Abendspaziergang recht ordentlich, wir gehen um 7 Uhr abends los und Harri schätzt, dass wir wohl so um Mitternacht zurück sein werden. Wir müssen erstmal ein Tal durchqueren, und es geht zum ersten Mal seit dem Beginn unserer Reise so tief runter, dass hier sogar richtige Bäume wachsen -- und natürlich auch genügend Gestrüpp, durch das man sich kämpfen muss. Die Baumgrenze liegt bei 500-600 Metern über NN. Der Bach im Tal hat sich einen richtigen Canyon in den Fels gegraben, glücklicherweise finden wir gleich einen Weg über ein paar Felsen. Auf der Nordseite des Canyons geht es dann steil hoch, aber mir macht das nichts, denn es gibt reife Blaubeeren! Das genügt mir als Motivation für ein paar Kilometer. Bisher haben wir nur grüne Blaubeeren und Krähenbeeren (die natürlich in Massen) gesehen. Es bleibt recht steil, aber dafür wandern wir jetzt über eine Wiese. Erst auf 1000 Metern Höhe verwandelt sie sich in eine Geröllwüste. Wir klettern auf einen Sattel am Berg und können endlich nach Norden sehen, allerdings nicht bis zum Meer. Ein beeindruckender Blick ist es trotzdem. Im Gegenlicht sieht man den Otertind, den berühmten Berg, von dem jedes Jahr ein paar Norweger herunterfallen. Anscheinend kann man den Berg ohne Equipment besteigen, aber der Weg herunter ist wohl nicht so ganz einfach.
Ein scharfer Wind treibt uns irgendwann wieder den Berg runter -- allerdings meint Harri, dass seine Knie den steilen Abstieg vielleicht übel nehmen würden und so gehen wir einen Umweg, auf dem es weniger steil ist. Auf dem Rückweg finden wir nicht so schnell einen Weg über den Canyon -- und als wir es schließlich geschafft haben, finden wir ein Hügellabyrinth vor, es geht ständig steil rauf und runter. Ein weiteres Mal sind wir froh über das GPS-Gerät, denn wir sehen das Zelt erst, als wir fast direkt davor stehen. Es ist ein Uhr und wir fangen an Abendessen zu kochen. Das war mit Abstand der längste Tag unserer Wanderung -- und der mit den meisten Höhenmetern.