Sonntag, 7. November 2010

Wanderung 2010, Tag 4

14.6.2010: Zum Sokosti

Heute frühstücken wir zum ersten Mal auf dieser Reise im Zelt – denn es ist wirklich kalt (noch kälter als die vorangegangenen Tage). Dann kommen wir schnell los, wenn man sich bewegt ist das Wetter sehr angenehm.

Es geht langsam voran, der Landschaft ”gegen den Strich”, dass heisst es geht ständig auf und ab. Irgendwann kreuzen wir eine Geisterstrasse, die vor langer Zeit für eine ”savotta” angelegt worden war. Eine ”savotta” ist eine Art riesige Abholzaktion, die glücklicherweise in dieser Region dann doch nie stattfand. Ansonsten wäre hier wohl kein Nationalpark, denn Bäume brauchen hier hunderte von Jahren um zu dem zu werden was sie im Moment sind. Nach heutigen Massstäben ist die Geisterstrasse eher ein Feldweg.

Trotz der strengen Witterung sehen wir viele kleine Blumen, sogar auf manchen Gipfeln. Und viele Spinnen. Vielleicht fallen die einfach so auf, weil man sie zwischen den Steinen besser sehen kann als in vegetationsreichen Gebieten. Oder es gibt einfach wirklich viele. Mir fällt da immer Harry Potter ein (follow the spiders...).
Die Gegend wird immer steiniger. Schliesslich zelten wir an einem Canyon mit Wasserfall und finden genau einen halbwegs geeigneten Zeltplatz. In der Nacht werde ich mich mehrmals in der unteren linken Ecke des Zelts wiederfinden, aber landschaftlich hat der Platz schon was.

Am Abend machen wir einen Spaziergang auf den Sokosti, das höchste Fjäll in der Region. Und vermutlich das steinigste. Während wir auf der etwas flacheren Talseite kraxeln, kann man die gegenüberliegende Fjällwand bestaunen, die in einem erstaunlich steilen Winkel ansteigt und anscheinend nur aus losen Steinen besteht. Da also schonmal nicht lang... Immerhin gibt es ein paar Schneefelder, die wir auf dem Weg ausnutzen können. Auf dem Fjäll angekommen hat man einen schönen Blick über den Luirojärvi (Im Gegenlicht, deshalb keine brauchbaren Fotos). Wir geniessen den Ausblick und treffen zum ersten Mal seit Tagen wieder auf Menschen. In unser Camptal verirrt sich aber keiner.





Auf dem Rückweg werde ich etwas müde und sehe plötzlich den Weg vor lauter Steinen nicht mehr. Nach ein bischen Zuckerzufuhr in Form eines Kekses schaffen wir es aber doch wieder von der Geröllhalde herunter und zum Zelt. Irgendwie verliere ich Harri, aber das Zelt ist nicht zu übersehen und unsere Wege finden im Tal wieder zusammen (ja, man sollte meinen, dass es ziemlich schwierig ist. sich in einer so kargen Gegend aus den Augen zu verlieren wenn man zusammen wandert, aber es geht).







Wir sitzen noch etwas um den Spirituskocher herum, essen und erleben einen schönen relativen Sonnenuntergang.

Freitag, 5. November 2010

November

Seit Wochen schon fühlt es sich wie November an -- kalt, feucht und dunkel. Morgens gerne Schnee am Boden und Regen vom Himmel. Sobald es bewölkt ist, wird es den ganzen Tag nicht richtig hell, die Sonne steht einfach in einem zu flachen Winkel um ordentlich durch die Wolken durchzukommen.
Ich erinnere mich dunkel, dass November (oder nach November riechender Oktober) eine etwas schwierige Zeit ist, aber zum ersten Mal seit ich hier bin ertappte ich mich beim Gedanken "Muss das schon wieder sein? Kann es nicht zur Abwechslung mal einfach nur einen normalen (deutschen) Winter geben?" Ich erinnere mich auch wieder, wie viele Menschen mich für verrückt halten, weil ich freiwillig kurz vor den Polarkreis gezogen bin.
Und recht haben sie: Als ich heute von der Arbeit nach Hause ging war es sternenklar, der Weg glitzerte vom Frost und es roch nach perfektem Winter und ich wanderte glücklich durch die Nacht (um halb 7). Vermutlich bin ich ein bischen verrückt.
In Lappland liegt übrigens schon ganz gut Schnee und kalt genug ist es auch: Heute Nacht zum Beispiel -20 Grad...

PS: "November" scheint eine beliebte Überschrift zu sein (und teilweise kreativere Blogeinträge zu produzieren als diesen hier), siehe z.B. hier und hier.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Wanderung 2010, Tag 3

13.6.2010: In die Fjälls


Heute wache ich recht unausgeschlafen auf – dass es beim Frühstück echt kalt ist, bessert die Laune auch nicht gerade. Immerhin merke ich mir, dass es ratsam ist, morgens sämtliche mitgebrachten Kleidungsschichten übereinander anzuziehen und einfach kurz bevor es losgeht ein paar davon wieder auszuziehen.


Schliesslich halten wir es oben nicht mehr aus und gehen weiter. Ein paar Kilometer weiter finden wir eine windgeschützte Schlucht mit einer Menge Schnee, in der man gemütlich im Tshirt Pause machen kann.

Dann kommen wir an einen Fluss und machen einen kleinen Abstecher, weil ich die Torfhütte, die in der Karte eingezeichnet ist mal sehen möchte. Ein interessantes Gebäude, ungefähr 2x2 Meter gross, aber mit Briefkasten (what the heck???) und lustiger Frisur. Gleich nebenan ist ein Rettungshubschrauberlandeplatz.




Ein paar Hügel weiter ist es weniger steinig und wir beschliessen das Zelt aufzuschlagen. Es ist noch nicht so spät, deshalb machen wir einen längeren Abendspaziergang zum Vuomapää und dem Nachbarfjäll. Wo kein Schnee mehr liegt ist es ziemlich steinig, teilweise auch feucht. An einem kleinen Wasserfall mit Schneefeld gibt es leckeres und sehr kaltes Wasser.



Sobald die Sonne hinter dem Berg verschwindet, wird es so kalt, dass wir uns ins Zelt verziehen.


Irgendwie sieht es auf all diesen Bildern so warm aus -- man glaubt kaum dass wir fast jeden Morgen und abends fast gleich nach dem Zeltaufbau in Fleeceunterwäsche, Mütze und Handschuhen verbracht haben...

Sonntag, 10. Oktober 2010

Der erste Schnee

Es stürmte schon die ganze Nacht und moregens wurde es eher stärker als schwächer. Die Temperatur fiel immer weiter und plötzlich fängt es an zu schneien. Echte Schneeflocken, nicht nur "räntää" (Schneeregen). Glücklicherweise sieht es nicht so aus, als ob irgendwas liegen bleiben würde, dafür ist der Boden dann doch noch zu warm. Jyrki und sein Bruder sind mit Sommerreifen unterwegs und müssen noch knapp 200 km fahren...

Freitag, 8. Oktober 2010

Identitätskrise, oder: Die Finnisierung schreitet fort

So ein bisschen zu denken gibt es mir ja doch, dass ich neulich beim Kiefernchirurgen gefragt wurde, welches meiner Elternteile denn deutschsprachig sei. (Nein, ich spreche ganz bestimmt nicht perfekt finnisch, aber mit der Aussprache geht es schon ganz gut und so komplizierte Sachen erzählt man dem Kiefernchirurgen ja nun auch nicht... )

Als dann aber gestern ein deutscher Kollege ganz erstaunt über mein akzentfreies Deutsch war, kam ich mir schon wie ein Sprachgenie vor ;-)
Er sagte übrigens: "Du sprichst ja akzentfreier als wir Deutschen!" -- er ist Bayer.

Ich bin etwas verwirrt. So langsam nimmt es mit der Finnisierung wirklich überhand...

Samstag, 2. Oktober 2010

Wanderung 2010, Tag 2

12.6.2010: Bis kurz vor die Fjells

Wir schaffen es bereits vor Mittag aufzubrechen. Die ersten zehn Kilometer geht es an einem alten Rentierzaun entlang, immer im Wechsel über einen bewaldeten Hügel und dann einen Sumpf.



Dann geht es etwas mehr aufwärts. Vor uns liegt ein Waldstück, das in den Achtziger Jahren von einem grossen Sturm heimgesucht wurde. Überall liegen Baumstämme, schön quer zur Gehrichtung. Hilfreicherweise gibt es einen Weg um dieses Hindernis herum.



Nun kommen wir zum ersten richtigen Fluss, den wir überqueren müssen. Also alles wasserdicht verstauen, Hose und Wanderschuhe aus, dafür Watschuhe an. Der Fluss geht mir nur etwas übers Knie, hat aber ganz schön Strömung. Alles geht gut, auf der anderen Seite bemerke ich, dass ich zwar meine Socken schön wasserdicht verpackt hatte der Fotoapparat aber bei der Flussdurchquerung luftig am Rucksack baumelte...

Jetzt fängt der Urlaub richtig an, wir laufen jetzt querfeldein, überqueren zwei langgezogene Hügel. Auf dem Gipfel des zweiten wachsen schon nur noch Zwergbirken, bald sind wir in den Fjälls. Dann werde ich müde, wir laufen nach Westen gegen die Sonne, es ist steinig und ich verliere Harri, der sich im Zickzack durch den Birkenwald, andauernd aus den Augen.

Endlich finden wir einen Zeltplatz auf einer Anhöhe. Direkt neben dem Zelt geht es in eine kleine Schlucht mit einem Bach mit vielen Stromschnellen. Es erinnert mich irgendwie an den Harz, besonders der Geruch.

Man merkt, dass es hier in Lappland gerade erst Frühling wird: Die Blätter an den Bäumen sind noch ganz hellgrün und abends wird es schnell so kalt, dass man um Mütze und Handschuhe nicht herumkommt.


Mittwoch, 29. September 2010

Wanderung 2010, Tag 1

11.6.: In die Wildnis

Diesmal geht es in den Nordosten von Finnland. Von der alten Grenzstation Kemihaara wollen wir nach Saariselkä laufen.

Das Team ist das selbe wie immer, sprich Harri und ich. Neu dabei ist lediglich Harris Kamera, weswege ich diesmal ab und zu auf Bildern zu sehen sein werde und wir einige hundert Fotos von der Reise haben. Ich hatte nicht gewusst, dass es so aufwendig ist, Fotos zu sortieren...

Erstmal müssen wir nach Kemihaara kommen. Das ist garnicht so einfach: Wir müssen früh genug aufwachen um den Zug um kurz nach 5 zu bekommen. Damit fährt man bis Kemijärvi. Von da aus gehts weiter mit dem Bus Richtung Nordosten. Im Bus ruft Harri das Posttaxi an, das uns daraufhin irgendwo auf einem Dorf vom Bus abholt. Von da an ist die Reise entspannter, denn wir waren uns nicht so sicher, ob wir so ein Taxi überhaupt bekommen würden, denn man kann nicht vorbuchen. Die Reise geht ab Martinniemi sogar sehr entspannt weiter, denn das Posttaxi verteilt auf dem Weg nach Kemihaara die Post. An diesem Tag gibt es eine Werbebeilage, weswegen wir auch wirklich an jedem Briefkasten anhalten. Die Ankunft des Postautos ist anscheinend für viele Leute der Höhepunkt des Tages und wird freudig begrüsst.

Die Gegend durch die wir fahren ist etwas trostlos, Harri erzählt dass hier seit ungefähr dreissig Jahren der dritte lappische Stausee geplant ist. Dieser See würde die ganze Gegend überfluten, und deswegen wird hier kaum etwas repariert oder sonstwie investiert – es könnte schliesslich nächstes Jahr sowieso unter Wasser sein. An der Strasse stehen ab und zu Pfähle die die Ufer des hypothetischen Stausees markieren. Ausserdem gibt es hier noch den Korvatunturi, da lebt bekanntlich der Weihnachtsmann. Das haben sich finnische Eltern schlau ausgedacht, denn der Korvatunturi liegt in der Grenzzone zu Russland und deswegen kann man da nicht einfach so nachschauen ob es den Weihnachtsmann tatsächlich gibt. Dieses Fjäll ist trotz seiner Unerreichbareit allgegenwärtig. Alle möglichen Läden und sogar eine Schule an der wir vorbeikommen heisst ”Korvatunturin ala-aste”.


Wir sind nicht die einzigen, die an diesem Tag nach Kemihaara wollen, zwei Männer aus Südfinnland fahren mit uns im Taxi. Lustigerweise hat der eine wohl sehr viel Erfahrung und recht wenig Gepäck, während der andere zum ersten Mal unterwegs ist und einen riesigen Rucksack schleppt. Glücklicherweise hat der Taxifahrer irgendwann keine Zeit mehr und deshalb fahren wir kurz bei ihm zu hause vorbei und stellen die restliche Post ab, so dass seine Frau sie später austeilen kann. Der Rest der Strecke geht dann deutlich schneller voran und so sind wir schon kurz vor drei in Kemihaara – wir haben also weniger als 10 Stunden für die rund 450 Kilometer gebraucht.

Die Grenzstation Kemihaara wird wohl inzwischen touristisch genutzt. Als wir vorbeikommen und die Post mitbringen ist jedoch alles leergefegt bis auf drei Hunde, von denen einer uns am liebsten begleiten würde.


Erstmal geht es auf einem Quadpfad durch den Wald nach Norden, so ziemlich an der finnischen Grenze entlang. Wir kommen durch verschiedene Waldarten, von dichtem Nadelwald bis zum sumpfigen lichten Espenwald. Obwohl es garnicht so einfach ist, den Pfad zu verlieren schaffen wir es einmal.



In dieser Gegend ist es etwas schwierig, einen Zeltplatz zu finden. Meistens ist es sumpfig oder steinig oder hügelig oder alles drei zusammen. Schliesslich finden wir aber doch einen, nur leider fliesst das kleine Rinnsal in der Nähe wenig bis nicht genug um als Trinkwasserquelle herzuhalten. Also macht sich Harri mit leerem Rucksack und ”eräsäkki” (Einer Art sehr grosser fester Plastiktüte) auf den Weg während ich das Camp aufbaue.

Als ich damit fertig bin erkunde ich ein bischen die Gegend und sitze gemütlich in der Sonne. Als ich anfange mir ernsthaft zu überlegen, ob ich Harri suchen gehen soll, kommt er glücklicherweise wieder. So langsam verschwindet die Sonne hinter den Bäumen und taucht kurz darauf wieder auf – ein Zeichen dafür, dass Schlafenszeit ist.